Bericht von Ina 17.07.2018

Challenge Roth 2018

Wenn eines Tages der Moment gekommen ist, an dem man beim Anstehen vor einem DIXI-Klo mit Freudentränen zu kämpfen hat...dann kann es gut sein dass man sich in der Wechselzone 1 vor dem Start zur ersten Teilnahme der Challenge Roth befindet.
Ansonsten sollte man wohl unverzüglich damit beginnen, sich ernsthafte Sorgen um seinen gegenwärtigen Geisteszustand machen.

Wie sehr ich mich im Vorfeld auf diesen Jahreshöhepunkt gefreut hatte, kann man sich vielleicht nur halbwegs ausrechnen, wenn man hierzu einige Daten zu meiner persönlichen Geschichte zusammen addiert:
Vor genau zehn Jahren startete ich wenige Tage nach meinem ersten Marathon in Freiburg damals sehr spontan bei meinem ersten Triathlon in Steinheim, dem MZ3athlon im Norden von Stuttgart. Nachdem ich mich mit meinem ersten eigenen Fahrrad, einem Bock-schweren MTB über die Strecke gemüht hatte und dem Kraul-Stil damals noch gar nicht mächtig war, hatte ich dennoch bei der abschließenden Laufstrecke immer noch so viel Spaß an der ganzen Sache, dass ich beschloss, etwas Erspartes in ein Rennrad zu investieren um mich diesem Sport, der mich im Sturm erobert hatte widmen zu können. Im selben Jahr lud mich ein Bekannter zu einem Firmentraining in Roth ein. Es wäre noch ein Platz im Auto frei und er würde mit einem Arbeitskollegen und dessen Freundin hin fahren - gerne könnte ich mit dabei sein. Zum Radtraining mit Timo Bracht traute ich mich damals zwar unter gar keinen Umständen, war ich doch gerade erst dabei mich mit dem Radsport etwas genauer auseinander zu setzen. Das Lauftraining mit Heidi Jessberger sollte ich allerdings auch nie vergessen – und die ganz eigene, irgendwie verrückte und magische Energie die diese kleinen Ortschaften und deren Bewohner umgab, die bereits während eines einzelnen Trainingslaufes spürbar wurde.
Und einige Jahre später dann 2013, während eines Arbeitswochenendes in Nürnberg, wohin ich damals mit meinem ersten Triathlon-Radl von Stuttgart aus gefahren war und auf meine zweite Langdistanz in Köln trainierte, feuerte ich gebannt von der unvergleichlichen Stimmung selber Stundenlang am Solarer Berg die Athleten an. Nichtsahnend dass Simon(den ich erst ein Jahr später kennen lernte) unter Ihnen war, der an diesem Tag eine Wahnsinns-Leistung an den Tag legen sollte, und in seiner Altersgruppe den zweiten Platz am Podest holte. Vielleicht hatte mein Gebrüll ihn ja auch ein wenig schneller voran gebracht – oder er hatte sich zumindest gedacht: „Verdammt, die Alte ist echt laut...nichts wie weg hier!“
Wie auch immer, damals hatte ich mir geschworen dass ich eines Tages selber den Solarer Berg hinauf fahren wollte, in diesem einen, legendären Rennen.

Und nun war es soweit: Genau fünf Jahre später stand ich nun hier und war bereits in der früh völlig geplättet von der Gänsehaut-Atmosphäre vor dem Start, der unglaublichen Freundlichkeit der zahllosen freiwilligen Helfer...und auch dem Gedanken daran, dass heute im Ziel mein Traummann auf mich warten sollte, der mich bisher nie alleine zu einer Langdistanz hatte reisen lassen. Das ultimative Dream-Team hatte sich endlich gefunden ;-)
Während ich nun in der Morgenstimmung am Kanal hinaus aus der Wechselzone 1 blickte kurz bevor ich in meinen Neoprenanzug schlüpfen wollte, unterhielten sich neben mir eine kleine Gruppe von Athleten und philosophierten über den Bereich, der den Schwimmeinstieg markieren sollte. Wir kamen ins Gespräch und siehe da: wo kamen die Sportsfreunde her? Natürlich, aus Australien! ? Eh klar, alles andere wäre ja auch unpassend gewesen. Mein mittelschwerer Down-Under-Tick kam natürlich sofort unfreiwillig aufs Tablett, als einer der älteren Athleten fragte, ob ich denn ganz alleine hier sei und ob ich schon einmal in Roth gestartet wäre...? Daraufhin erzählte ich die Geschichte von meinem letzten Besuch in 2013, und dass mein Freund dieses Mal derjenige wäre, der im Ziel auf mich warten würde...
Meine kleine Challenge-short-story schien ihm zu gefallen und er fasste sie treffend zusammen mit den Worten „so...it all started with you - cheering athletes...?“

Dann, vor einem der Dixi-Kloreihen tauchte auf einmal ein bekanntes Gesicht neben mir auf: Die Siegerin der Heilbronn Challenge(und später auch an diesem Tag, Siegerin Gesamt in Roth mit neuer persönlicher Bestzeit) Daniela Sämmler deutete auf eine der Toiletten-Boxen ganz außen links in der Reihe vor mir die ich gerade im selben Moment entdeckt hatte, und auf die ein wohl sehr motivierter Helfer mit schwarzem Edding „Reserviert für DLRG“ notiert hatte und lachte begeistert mit mir:„ Hey, das ist ja geil! Das will ich nächstes Jahr auch haben, n reserviertes DIXI, haha! Unglaublich cool!!“
Wir wünschten uns gegenseitig alles Gute für das bevorstehende Rennen und ich verdrückte mich in die nächste frei gewordene Kabine. Bei welchem Sport erlebt man sonst so sympathische Stars der Szene hautnah, die genau im selben Bewerb mit einem Starten? Mir fällt jedenfalls keiner ein...

An dieser Stelle muss ich übrigens dem DJ dieses Events auch unbedingt einmal ein riesen Kompliment machen: So emotional-entspannt und positiv eingestimmt kommt man definitiv nur ganz sehr selten in ein Rennen...
Auf dem Weg zum Start lief nun „beautiful day“ von meiner alten Lieblingsband U2 und während ich mir meine Badehaube mit der 7:05-Startzeit über den Kopf zog bemerkte ich dass ich gerade an einer anderen junge Frau vorbei lief, die inbrünstig genau dieselben Worte sang wie ich: „what you don`t have – you don`t need it now...don`t need it now!“ – spontan tanzten wir uns bis über beide Ohren strahlend an bevor wir uns in unseren gemeinsamen Startblock begaben.

Nun ein weiteres Duo zweier motivierter Helfer vor dem Schwimmeinstieg, die jeweiligen Startgruppen mit lauten Rufen zur Besinnung rufend: „GROUP 7:00!!! Startgruppe 7 UHR!!! KEINE SCHUHE; KEINE SOCKEN; KEINE FLASCHEN; KEINE BANANEN – AUF GEHT’S!!!“
Den Start der Profis hatten wir Agegrouper von unserem Erste-Klasse-Platz aus genießen können, die Ballons zogen langsam über unsere Köpfe hinweg in den klaren Himmel hinein, und dann wieder – das ohrenbetäubende Wummern der Startkanone alle fünf Minuten, bei dem wir uns immer wieder beglückt und zugleich erschrocken anlachten, wir, die wir auf unseren eigenen Kanonenschuss warteten...
Und dann endlich, der Startblock der Damen um 7Uhr 5.
Und wieder die beiden männlichen Helfer vor uns, inbrünstig und voller Begeisterung:
„GROUP 7:05!!! STARTBLOCK 7:05 UHR!!! KEINE SCHUHE, KEINE SOCKEN, KEINE FLASCHEN...KEINE KINDER!!!! LOS GEHT’S!!!“ Die Frauen um mich herum brachen in euphorische Jubelschreie aus – mich wohl eingeschlossen ;-)

Beim Schwimm-Einstieg, LA-OLA-Wellen der Helferinnen, dann der glitschige Einstieg über die Stiege, hinein ins braun-grüne Nass des Kanals. Dann, ein stechender Schmerz im Zeh. Mist...
Noch vor wenigen Minuten hatte mich eine aufmerksame Britin gewarnt, dass sie selber letztes Jahr beim Schwimmeinstieg in eine Scherbe gestiegen wäre...shit.

Nun blieb aber kaum mehr Zeit um sich hierzu weitere Gedanken zu machen, doch der dicke Schnitt, der am Abend beim Socken ausziehen wieder sichtbar wurde, erinnerte mich nachher wieder an diesen einen Augenblick wenige Sekunden vor dem Start.
Und dann – KAWUMMM!!! – endlich ging es los...!

Nachdem sich das übliche Getümmel auf den ersten 100 Metern etwas gelegt hatte, hielt ich langsam Ausschau nach Simon, der dann auch tatsächlich wie versprochen bei der 400 Meter Markierung in mein Sichtfeld kam und mich zu Fuß bis kurz vor zur Brücke und zum Wendepunkt begleitete. Mein Schwimm- äh UN-Stil ist halt einfach auch unverwechselbar;-) Muss ja auch irgendwelche Vorteile geben, und wenn es auch nur der ist, dass man wenigstens immer leicht zu entdecken ist...
Trotz der gegebenen Umstände und der Tatsache dass der Start nicht ganz so optimal verlaufen war wie ich mir das vorgestellt hatte, musste ich nun beim Schwimmen still vor mich hin ins Wasser lächeln: „Was macht er denn bloß, warum dreht er nicht endlich um? Wenn er jetzt schon alles neben mir her läuft wird er bis heute Abend ja komplett fix und fox sein?!“
Derweil fühlte ich mich noch ganz frisch, was sich allerdings leider schlagartig nach dem Passieren der Wendeboje ändern sollte. Was auch immer es war (vielleicht hatte ich im Startblock doch zu sehr gefroren zuvor oder es lag daran dass sich mein Körpergewicht und der Körperfettanteil in den letzten Wochen trotz gefühlt ständiger Futterei an meiner persönlichen Untergrenze eingependelt hatte?) – mit einem Mal war mir einfach nur noch saukalt und die Krämpfe, die ich nun in den Beinen spürte, machten selbst einen lockeren Beinschlag unmöglich. Von hinten schnellten dennoch ungebremst die schnellen Staffel-Startgruppen heran und ich versuchte mich nur noch mit kräftigen Armzügen so schnell wie möglich aus der Bahn zu schaffen. Endlich, nach einer zuletzt scheinbar kleinen Ewigkeit kam zurück unter der ersten Brücke der Schwimmausstieg in Sichtweite. Ich war überzeugt davon noch langsamer als jemals zuvor auf dieser Distanz gewesen zu sein und freute mich fast ein bisschen als ich auf meinem GARMIN-Begleiter schließlich eine Schwimmzeit von einer Stunde und neunzehn Minuten ausmachen konnte.
Nach dem Wechsel aufs Rad, bei dem ich mir auch noch einmal Zeit nahm meine Schultern mit Sonnenspray nachzubearbeiten musste ich allerdings feststellen, dass meine Zitterpartie beim Schwimmen doch nicht ganz so spurlos an mir vorbei gegangen war. Ich bibberte so stark und unkontrolliert mit den Zähnen, dass ich kaum die Straße vor meinem Vorderreifen erkennen konnte...
Muss wohl ein bisschen wie ein verschrecktes Eichhörnchen ausgesehen haben; scheinbar hatten aber einige Athleten eine ähnliche Mimik wie ich auf den ersten Radkilometern, wie mir Simon nachher bestätigen sollte.
Durchgefroren bis auf die Knochen versuchte ich mir nun eiligst die fehlenden Kalorien wieder in die Figur zu hauen – scheinbar war dies auch dringend nötig, da mir buchstäblich der Magen knurrte. Konnten sich in den vergangenen trainingsintensiven Wochen meine Arbeitskollegen noch köstlich über meine ständigen Sushi-Heißhunger-Attacken amüsieren – nun nervte mich mein eigener, laut-knurrender Magen bereits auf der ersten Etappe der Radstrecke von 180km einfach nur noch eindeutig. Und dann tat ich, was jede vernünftige Frau getan hätte: Ich spachtelte.
Ohne Rücksicht auf Verluste.
„Dig in“, wie unsere Tasmanischen Freunde munter kommentieren würden.

Was sich jetzt allerdings erst einmal nach einer ganz gemütlichen Kaffeefahrt anhört, war im wirklichen Leben tatsächlich eine ziemliche Kugelfuhr. Die Radstrecke in Roth ist ja jetzt auch nicht unbedingt dass, was man gemeinhin als gemütlich bezeichnen würde. Ja, Sie ist definitiv unheimlich schön und abwechslungsreich; aber genau aus diesem Grund eben auch soweit anspruchsvoll und reich an Ablenkungen aller Art, dass ich bei den stetigen Wechseln aus Anstieg und Abfahrt, rauf und runter („aufi und obi“) so weit genug mit der Strecke an sich zu tun hatte - und mir meine mitgeführten Bananen und Riegel vermutlich auch nicht besonders magenschonend eher nebenbei einverleibte.
Irgendwann nach dem zweiten Riegel war es dann so weit dass ich mir die Ernährung nur mehr zwanghaft „reindrehen“ musste. Auch wenn im Training alles genau so gepasst hatte, was ich jetzt auch zu mir nahm – wie so oft, tauchte ein schwer zu verdrängendes Gefühl in meiner Magengegend auf, dass man wohl am Besten mit einem verschluckten Pflasterstein gleichsetzen kann. Nicht schon wieder...!

Von meinen vorhergehenden drei Langdistanzen muss ich an dieser Stelle leider vermelden: Bei genau EINER hatte ich bislang keine Magenprobleme.
Das „Erfolgsrezept“ vom Cologne Triathlon Weekend von 2013 (mein ganz eigenes, persönliches „Wunder von Köln“ sozusagen) – mein eigener painless shake, eine hochkalorienreiche und laktosefreie Variante einer Erdbeermilch aus der Apotheke -konnte ich allerdings leider nachher nie mehr wiederholen.
Also - im wahrsten Sinne des Wortes – Arschbacken zusammen kneifen und durch. Und natürlich weiterhin munter hinein mit den Kalorien, und zwar alles was die klebrigen Trikottaschen noch hergaben, denn irgendwo hinter irgendeinem der zahllosen Anstiege lauerte immer noch der hinterlistige Hungerast; war noch nie anders und wird sich auch nie ändern. Irgendwann war mir schon sehr danach, Angie aus St. Pauli, einem Mädel mit auffällig-lässigem Triathlon-Einteiler, nach dem gefühlt einhundertsten Manöver (ich - zwar immer noch bei jedem Anstieg in der Lage dazu halbwegs souverän an ihr vorbei zu kurbeln, sie - mich daraufhin dann aber bei JEDER einzelner Abfahrt wieder kriegend) anerkennend „MOIN MOIN ANGIE!“ entgegen zu rufen.
Aber die Magenschmerzen, die mich nun auch zu einer ersten Pause am Wegesrand zwangen, sollten eine allzu unbeschwerte aufkeimende Euphorie doch noch verhindern. Irgendwie freute ich mich schließlich nur noch auf den näher rückenden Moment, von diesem unsagbar depperten Gefährt endlich wieder absteigen zu können.
Dennoch, die Stimmung am Solarer Berg und - nicht zu vergessen – am zacheren Kalvarienberg: Unbezahlbar.
Irgendwo auf der zweiten Hälfte der ersten Runde schossen Führungs-Moped samt Sebi Kienle an mir vorbei. Das heißt, im ersten Moment wollte ich schlicht dem Führenden reflexartig „HAU EINI, SEBI!“ hinterher schmettern, bemerkte aber dann im letzten Moment dass es doch noch nicht der Mühlacker-Jung war, der da an mir vorbei geprescht kam. Aber dann - kaum einen Augenblick später – doch noch: „GO GO GO SEBI!“ Irgendwie kosten solche Momente doch manchmal unerwartet viel Kraft - sind aber dennoch einfach nicht verhandelbar.
Und Sebastian Kienle gewann letztlich auch an diesem Tag einmal mehr die Langdistanz.

Auch in Punkto Streckenabsicherung kann man sich als Athlet in Roth auf keinen Fall beschweren. Aber natürlich, trotz 70(oder waren es doch 80?!) im Rennen eingesetzter Motorräder samt Kampfrichter gibt es dennoch immer einige unbelehrbare Windschattenfahrer (und –INNEN! - dies muss tatsächlich in diesem Fall einmal ganz eindeutig „gegendert“ werden) unterwegs waren...früher oder später kam doch immer wieder ein hupendes Zweirad von hinten heran und ich genoss in heimlicher Genugtuung den Moment, wenn der oder diejenige, die sich da gerade im entspannten Lutsch-Zustand befanden, plötzlich doch recht verschreckt in die Pedale traten, und die Watt-Werte zur Abwechslung einmal wieder in ungeahnte Höhen schießen lassen mussten.
Nun nach der zweiten Runde, endlich die Abzweigung Richtung Wechselzone zwei, hinein nach Roth – dann auf einmal eine große Blutlache auf der Straße, direkt vor der Wechselzone vor dem Rad-Abstieg, eine kurze Sequenz in dem ganzen Höllenlärm gepaart aus der johlenden Zuschauermenge und den warnenden Rufen der Helfer vor der Haltelinie. Das alles nach Kräfte zehrenden 6 Stunden, 38 Minuten und 30 Sekunden. Puh. Dann wieder auf einmal alles wie in Zeitraffer, - ZACK – das Fahrrad weg, - SCHNAPP – das Wechselzonensackerl gegriffen und rein ins Zelt, neben mir rechts und links zwei Herren die offenbar ganz entspannt im hier und jetzt die Behandlung der Helferinnen über sich ergehen ließen: „Darf es noch etwas Sonnencreme sein? Sitzt der Socken so gut? Kann ich sonst noch etwas für dich tun?“
Hätte mich ehrlich gesagt nicht gewundert wenn sich hier der ein oder andere Teilnehmer doch lieber spontan zum Verbleib im lauschigen Zelt entschieden hätte...
Warum weiter quälen? Draußen wartete ein Marathon auf die bereits geschundenen Muskeln, Sehnen und Bänder...und hier drinnen mangelte es an nichts, besonders nicht an freundlicher Aufmerksamkeit und Menschlichkeit.
Aber dann, was soll man machen...nichts wie hinaus auf die letzte Etappe, aber zuvor – unvermeidlich – die Klo-Pause. Es sollte nicht meine letzte gewesen sein...

Natürlich macht man sich im Voraus immer einen schönen Plan für ein Rennen.
Warum nicht einfach einmal einen 5er Schnitt durch halten? Was bitte soll daran falsch sein, oder übermütig? Einen Halbmarathon mit ähnlich geringer Höhenmeter-Anzahl war ja auch schon mal in einer Stunde und dreiunddreißig Minuten gegangen, warum also nicht?
Die Antwort ist ganz einfach: DARUM.
Weil es eine Langdistanz ist. Und weil es einfach unglaublich hart sein kann, gleichbleibend schnell über eine Marathon-Distanz weiter zu rennen, mit einem Stechen im Magen, welches sich anfühlt als würde die komplette Bauchdecke bei der nächsten Erschütterung einfach zerplatzen - wie eine gigantische Stinkbombe im unpassendsten Moment den man sich nur vorstellen kann.
So kommt es dann mitunter Zustande dass man in einem Wettbewerb im einen Moment scheinbar noch richtig locker mit 4:48 Schnitt auf dem ersten Kilometern rennen kann...und ab dann nur mehr nach dem nächsten Toiletten-Container Ausschau hält.
Und jawohl, das kann dann ein sehr, sehr, sehr, sehr langer Marathon werden...

Irgendwann, nachdem ich dieselben Typen schon zum x-ten Mal überholt hatte (und immer wieder das gleiche Bild: Überholen – Abbiegen – Überholen – Wieder Abbiegen...und so weiter und so fort), hatte ein freundlicher Helfer die Eingebung, mir in meinem offensichtlich desolaten Zustand ein Gel anzubieten: Ich brach ihm – leider irgendwie ziemlich unfreundlich – direkt vor die Füße.
Lieber freundlicher Helfer: Das wollte ich wirklich nicht tun.
Es war in dem Moment einfach nur das komplett verkehrte Wort. „Gel...?!“ Würg.

Nun war auch trotz einer strickten Cola-und-Wasser-Diät so richtig Feierabend. Die Bananen, die ich mir eigentlich immer als funktionierende Notnahrung einverleibt hatte – vorbei. Nichts blieb mehr dort wo es sich zu Energie hätte umwandeln lassen können, alles vorbei, game over.
Aber wie sang schon Lenny Kravitz auf einer meiner ersten Langspielplatten vor einer gefühlten Ewigkeit? It ain`t over – till it`s over. Nun endlich, nach zahlreichen Lebensjahren und um eine großzügige Ladung an Erfahrungen reifer – endlich hatte auch ich begriffen was er damit gemeint haben könnte.
Denn Roth ist ja nicht ein Wettkampf den man einfach nur abhakt um nachher sagen zu können, dass man so-und-so schnell war und diese-oder-jene Position erreicht hat. Wer hier einmal gestartet ist, weiß wohl was ich meine. Und wenn man da mal drin hängt, dann muss es einen schon wahrhaftig so was von absolut endgültig aus den Socken hauen bevor man da das Handtuch wirft.
Und wenn ich auch die Häusl zum zweiten Mal am Weg zurück nach Roth ansteuern musste – ich ertrug es immerhin mit einer stoischen Gemütsruhe(auch wenn ich sicherlich das ein oder andere Mal laut vor mich hin fluchen musste, weil der Magen auch bei Kilometer 33, 34 und 35 immer noch keine Ruhe geben wollte).
Irgendwann ging es endlich zurück durch den Wald, zurück in die Stadt – Simon erkannte mich, sprach mich an wie es mir ginge, motivierte mich dadurch dass er meinen lockeren Laufstil lobte(tja, wenn ich nicht gerade auf dem Häusl im wahrsten Sinne des Wortes die Zeit versch... habe – ja dann konnte ich mich eigentlich noch ganz locker auf der Überholspur fortbewegen) – und rief mir abschließend aufmunternd zu, dass wir uns nachher im Stadion sehen würden...
Nun, auch wenn noch immer ein gutes Stück Weg zu bewältigen war und ich mich bereits an einer der Versorgungsstationen unter den verwunderten Blicken zweier Zuseherinnen von meinen mitgebrachten Vorräten an Hydro-Gels erleichtert hatte („Tja, Adieu... ich vertrag heut eh nichts mehr...“) – das Stadion mitsamt der Finish-Line rückte unablässig Näher, und nichts (also, FAST nichts...)konnte mich aufhalten. Dann noch einmal, hindurch - Pflastersteinpassagen in Roth, Schmerzhaft aber dennoch okay, und schließlich, durch den ohrenbetäubenden Zuschauerlärm hindurch eine bekannte Melodie der Kaiser Chiefs, dröhnend aus einem monströs-ausgerüsteten REDBULL-Geländewagen...und auf einmal musste ich trotz all der Strapazen wieder Lachen, vielleicht gequält, vielleicht nicht gerade Schönheitsköniginnen-gleich...aber dennoch, das Lachen in meinem Gesicht siegte über alle anderen Gefühle in diesem Moment und ich freute mich trotz meiner maroden Verfassung über all jene Dinge, die mir auf meinem Weg begegneten: Eine völlig glückliche, schokobraune Baby-Bracke, die vor Freude kaum geradeaus laufen konnte, ein fröhlicher Australier, den ich beim Überholen freundlich mit einem aufbauenden „Rock on, Aussie!“ bedachte und der ebenso happy zurück grüßte, eine hingerissene Omi am Wegesrand die mich wie von Sinnen anfeuerte und dem Ziel entgegen schrie, eine Band auf einer Bühne, deren Sänger ich entgegen sang und der mir in perfektem Duett Antwortete(aber fragt mich bitte nicht mehr, welcher Song das war – möglicherweise was von Blink 182...? Der Rest verschwimmt im Nebel der Endorphine) und dann auf einmal - wie eine Fata Morgana am Horizont – Felix Walchshöfer, der CEO der Challenge-family persönlich, der mir auf einer alten Vespa entgegen tuckerte, mich anlachte und ermuntern zurief: „Super INA!!! Weiter so!!!“ Und das ist doch etwas, so unglaublich es für mich in diesem Moment war: Mir war klar dass all das ganz und gar unvergesslich war...

Und dann endlich, noch einmal Kopfsteinpflaster, noch einmal, die letzten Kräfte, die letzten Meter, das Stadion. Endlich...nach einem knapp 4 ½ Stunden dauernden Marathon. Und nun, nachdem ich trotz all der Strapazen des Tages und der ganzen verstrichenen Zeit einfach nur dankbar war, gesund und glücklich am Ziel zu sein: Noch einmal ein bekanntes Gesicht von der Strecke zuvor - ein freundlicher Helfer - kopfschüttelnd und zeitgleich anerkennend-grinsend. Ein Mann der mir wohl etliche Kilometer zuvor vergeblich ein Gel hatte reichen wollen:
„Mensch! Ina...! Jetzt sag mir nur eins: Was hat denn da heute bloß so lange gedauert...?“

DANKE AN...
...den weltbesten Unterstützer, den ich mir nur hätte erträumen können – DU bist das BESTE!

...meine Leute, die sich an diesem wunderschönen Sonntag vor Ihre Bildschirme geklemmt, mitgefiebert und mir die besten Wünsche und gesammelten Kräfte ihres Barbecues gesendet haben – you know who you are ;-) - in Deutschland, Österreich und Tasmanien, am anderen Ende der Welt...

... an Felix Walchshöfer für sein unkonventionelles Verhalten auf der Laufstrecke (bei einem Rennen der Ironman-Serie wäre solch ein Erlebnis wohl definitiv eine Fata Morgana gewesen) und für das Erlebnis dieses unvergleichlichen Triathlons, der nur durch Herzblut zu dem werden konnte was er heute noch ist - legendärer denn je nach 35 Jahren.
Und für die emotionalste und schönste Rede zur besten Finishline-Party die man sich nach dem längsten aller Tage nur wünschen kann...


- the end -


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18.07.2018 - 07:41 Kommentar von Mario Tschautscher (Gast)


Cool geschrieben Ina 😁 Sehr ausführlich

   


     
20.07.2018 - 14:02 Kommentar von Bettina Lettner


Super Bericht Ina für ein besch...enes Rennen ;-) am Besten gefällt mir aber deine Bezeichnung fürs Radl nach 180km ...hihi ...genial... und meine Rede! Gratuliere dir nochmals fürs tapfere Durchkämpfen - wenn ich könnte würde ich dir und Martin mal meinen Magen borgen - ihr wärt super schnell!

   


     
02.08.2018 - 09:36 Kommentar von Antje (Gast)


Super Bericht! Ich bin ja nur froh, das ich das Alles erst immer im Nachhinein so detailliert erfahre! Mir hat das Liveracking via Tablet und die Telefonate/Whatsapp- Nachrichten mit Simon schon gereicht! Insbesondere als die Technik ausgestiegen ist und Du in meiner Fantasie schon blutüberströmt im Straßengraben lagst. Zum Glück konnte Simon mich beruhigen! Dass Du dann jemandem vor die Füße....also.... naja. Für mich unvorstellbar, wie man da noch weiter sporteln kann! Ich wünsche Dir sehr, dass es Dir doch nochmal vergönnt sein wird, da mitzumachen und dass Dein Magen dann gut gelaunt verdaut. Vielleicht solltest Du dann ein Schild umhängen haben auf dem steht "Don't say Gel!" Meinen größten Respekt vor Deiner LEISTUNG!!!!

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